Für Brigitte!
Sie weiß warum. Und wenn nicht, dann kann ich auch nichts machen.
Frohe Weihnachten!!
Wien, 3. Juni 1995
Es war wieder einmal so weit. Wie schon so viele Samstage zuvor befand sich mein Körper auf einer dieser Rave-Parties und schüttelte dabei wie wild seinen Schädel. So wie es bei Head Banging-Verzückungen eben üblich war. Kopf rauf und runter, rauf und runter, bis man nicht mehr wußte, wo links und rechts war. Angeblich sollte man dadurch frei und unbeschwert in seinem Oberstübchen werden. Ich verspürte nichts davon, im Gegenteil: Mein Haupt fing langsam aber mit einer an großer Wahrscheinlichkeit grenzenden Sicherheit zu dröhnen an, daß es nur so eine Freude war.
Für wen eigentlich?
Für meine Schuppen? Nein diese wurden brutal von ihrem angestammten Platz geschleudert, mußten also abrupt und ohne vorher packen zu können, ihre alte Heimat verlassen und wurden für immer von ihr vertrieben.
Für meine Haare? Nein, wohl auch nicht. Denen war das schier unsinnige Gerüttel höchstwahrscheinlich reichlich egal.
Für mich? Fehlanzeige - ebenfalls nicht.
Jetzt hab' ich's. Für die Pharmaindustrie, welche die Kopfwehpulverchen erzeugte.
Wie dem auch war. Wenigstens wußte ich dadurch, daß mein Hirn auch anwesend sein mußte. Zumindest im physikalischen Sinne.
Rave-Parties. Wie ich die schon hasse. Aber sie sind eben in und nur deshalb gehe ich wohl hin. Dieser Peter Rave und seine beiden Schwestern, wie er
seine weibliche Begleitband nennt. Öd. Zum aus der Haut fahren. Zum Haare ausreißen. Zum -
Hoppla. Da ist gerade etwas aus meinem wirren Kopf gefallen. War das meine letzte Schuppe? Oder habe ich mein Haupt etwa zu wild gebeutelt, so daß ich mein Hirn verloren habe? Nein, das konnte es wohl auch nicht sein. Aber was war es dann? Ich schaute mir das kleine Ding, das da so scheinbar unschuldig vor mir auf dem Boden lag, genauer an. Gar nicht so leicht, bei den Menschenmassen, die da rings um mich herum ihre Leiber schüttelten und mich dabei nicht nur einmal anrempelten.
„Was oder Wer bist denn du?“ fragte ich das plumpe Tier, welches hilflos auf dem Rücken liegend und wie wild mit seinen kleinen, verkrüppelten Beinchen zappelnd eine relativ traurige Figur darstellte.
„Na wer wohl!“ Schwang da ein klein wenig Frust oder gar Wut in seiner Stimme mit. „Schau' mich doch an!“
Ich tat es.
„Du siehst wie ein zu klein geratenes Schwein aus, oder? Nein, doch nicht. Du bist eher ein Hund, ein mit einem Pudel gekreuzter Rauhhaardackel. Nein, das stimmt auch wieder nicht ...“
„Bevor du da noch drei Stunden rumratest und dich dabei überanstrengst, verrate ich es dir. Darf ich mich vorstellen? I'm proudly present: Deinen inneren Schweinehund. - Und jetzt mach' deinen Mund wieder zu.“
Hatte ich es mir doch gedacht. Ich war betrunken. So etwas verrücktes war mir seit letzten Samstag nicht mehr passiert, als mich der Weihnachtsmann mit weit über 100 Sachen überholt hat: in einem Schlitten mit vorgespannten Renntieren - und das mitten im Sommer.
„Nein, du bist nicht besoffen. Heute ausnahmsweise nicht.“
„Woher weißt du, was ich gerade gedacht habe?“
„Drücken wir es so aus, ich kenne dich ziemlich gut. Ich war ja schließlich lang genug in dir drin. Wenn nicht ich, wer sonst soll über dich genauestens
bescheid wissen.“
„Hmm. Knifflige Sache. Naja. Wie wär's, wenn wir schnell einmal auf eine Sprung oder länger rausgehen. Mir geht die Musik hier schon sehr auf die Nerven und vielleicht kann ich im Freien wieder etwas klarer denken?“
„Wenn du meinst? Dir macht's Spaß und mir ist's wurscht.“ bell-grunz-te mein innerer Schweinehund.
„Die Liesl steigt die Alm hinauf.
Sie genießt es so. Sie ist gut drauf.
Dabei sie ihre Glocke schwingt
und dabei ein liebes Liedlein singt.
Muh.“
„Ja, ich meine.“ Es schüttelte mich, aber nicht vor Begeisterung, sondern aus Ekel. Dieser Song, einfach grausig. Moik's Musikantenstadl war nichts dagegen. Dafür brauchte man eigentlich schon einen Waffenschein.
„Stimmt“, stimmte mein innerer Schweinehund zu. Er konnte tatsächlich meine Gedanken erraten – oder noch besser ausgedrückt: lesen.
So drängten wir uns durch die Menschenmassen hindurch. Mein doch etwas seltsamer Begleiter hatte es ein wenig einfacher, weil er relativ leicht durch die zahlreichen Beine hindurchwieseln konnte.
Aber auch ich schaffte es und ließ schließlich die Veranstaltungshalle hinter mir zurück.
Mmmh. Aaah. Endlich wieder frische Landluft, also Kohlendioxyd. Stickoxyd, Ozon, Kuhmistdunst und auch ein bißchen Sauerstoff. Aber mein „neues“ Haustier war noch immer da. Es stellte doch keine Einbildung meiner krankhaften Fantasie dar. Naja. Auf eine besondere Weise hatte ich es trotz seines häßlichen Aussehens ein wenig gern. Dieser ‚Gast' war irgendwie doch ein Teil von mir.
„So, jetzt erzähle mir. Warum zeigst du dich mir so unerwartet? Ich muß zugeben, daß ich doch ziemlich überrascht bin.“
„Ganz einfach“, antwortete mein kleiner Besucher, „mir hat's in deinem geschundenen Körper einfach nicht mehr gefallen. Ständig hast du dich mit Drogen vollgepumpt. Haschisch, Marihuana, Ectasy, Schnaps und Kaffee. Das hält doch kein Schwein aus. Wolltest wohl dein Inneres nach Außen kehren, was dir hiermit bestens gelungen ist. Ich bin sozusagen aus dir geflüchtet, um dir meine Unzufriedenheit in aller Offenheit darzulegen. Was sagst du dazu?“
„Naja. Ich habe halt wieder einmal nach dem Sinn des Lebens gesucht. Dazu braucht man eben ein paar Hilfsmittel. Das verstehst du doch?“
„Nein, Franz.“
„Immer habe ich Pech. Immer meint es das Schicksal gar nicht gut mit mir. Jedesmal, wenn ich glaube einen Zipfel des Glückes zu erwischen, entkommt es mir wieder. Die aufkeimende Fröhlichkeit bleibt mir dann jedesmal im Hals stecken. Aber ich kann sie dann nicht einmal hinunterschlucken, so daß sie wenigstens in meinem Magen gut aufbewahrt ist, sondern sie schleicht sich durch mir unbekannte Schlupflöcher davon und denkt nicht im Traum daran sich wieder einmal zu zeigen.
„Hmm! Wirklich ein schwieriges Problem“, meinte da mein innerer Schweinehund. „Mir scheint, dir ist die richtige Lebensfreude abhanden gekommen. Wie wäre es , wenn wir sie einfach suchen. Das kann ja nicht so schwierig sein. Gehen wir. Komm!“
„Wenn du glaubst. Ich verspreche mir nicht viel davon. Wenn ich sie schon alleine nicht entdecken konnte, wie willst du verkrüppeltes Wesen mir da helfen können.“
„SAG DAS NIE WIEDER!“
„Was?“
„Verkrüppeltes Wesen. Ich hatte kurz das Gefühl, daß du damit eine gewisse abgrundtiefe Mißachtung meiner Erscheinungsform zum Ausdruck bringen wolltest, obwohl ich ein Teil von dir bin und das kann ich einfach nicht dulden. Du glaubst wohl, nur weil du ein wenig hübscher ausschaust als ich, zumindest für deine Begriffe, denn im Grunde halte ich dich für ziemlich häßlich und betrachte mich als die Kombination aller schönen Dinge dieser Welt, kannst du diesen Maßstab auf alles und jeden anwenden. Es ist doch wirklich peinlich, wie du versuchst, einen aufrechten Gang zu imitieren, der dir sowieso nicht viel einbringt und dabei wie wild mit deinen sogenannten Händen fuchtelst oder sie wie auf einer Wäscheleine aufgehängte Spaghetti nutzlos herunterbaumeln läßt. Also wirklich. Komm dir bloß nicht so wichtig vor.“
„Und du bist vielleicht wichtig?“ Oder bildest du dir das in deiner krankhaften Fantasie bloß ein.“
„Ich bilde mir das nicht ein. Ich bin es.“
Mein innerer Schweinehund war ganz schön frech. Aber er hatte doch ein klein wenig recht. Er konnte mir schon in einigen schwierigen Lebenslagen helfen und wenn es sich nicht so verhielt, war es mir auch egal, so daß ich es diesmal bei einem einfachen „Hmm“ belassen wollte und mich seiner vorläufigen Führung unterwarf und nur deshalb ging es jetzt Richtung heimwärts.
Schweigend marschierten beziehungsweise trippelten wir nebeneinander her und erreichten schließlich mein trautes Domizil, welches ich Stolz mein zu Hause nennen könnte, es aber nicht tue, weil es nicht mir gehört, sondern meinen Eltern. Bloß ein Zimmer konnte ich mit ein bißchen guten Willen, wenn ich beide Augen zudrückte, sie aber sogleich wieder öffnete, damit ich nicht über die zu kleinen Hügeln mutierten CD-, Schallplatten-, Bücher-, Zeitungs- und Kleidungsansammlungen und sonstigen Zeugen meiner persönlichen kulturellen Entwicklung stolperte, mein Eigen nennen.
Dieses betraten wir auch schließlich. Vorsichtig stieg ich über die diversen Ausdrucksformen meiner schon künstlerisch zu nennenden Schaffungskraft drüber. Mein Begleiter umrundete aufgrund seiner kurzen Stummelbeine, so gut er eben konnte, die sich vor ihm auftürmenden Hindernisse.
Vorsichtig durchwühlten wir diese Monumente meiner speziellen menschlichen Kultur, öffneten Schreibtischschubladen, riskierten einen kurzen Blick in meinen Kasten, bevor ich in mit einer Schnelligkeit wieder zu schließen versuchte, die sich der Lichtgeschwindigkeit schon verdächtig näherte, damit ich das Schlimmste verhindern konnte - nämlich von seinem Inhalt verschüttet zu werden, bevor ich meine Lebensfreude wiedergefunden hatte. Aber alles erwies sich als sinnlos. Nirgends war das Gesuchte zu finden, nicht einmal unter dem Bett.
„Also gut“, eröffnete mir mein Begleiter. „Es bleibt uns nichts anderes über. Wir müssen raus aus diesem Haus und rein in die Außenwelt. Hier werden wir das Gesuchte doch nicht finden. Was meinst du dazu?“
Wahnsinn. Er fragte mich nach meiner Meinung. Das war schon ein Grund, wieder etwas fröhlicher dreinzublicken.
Ansonsten wurde mir alles immer nur aufgezwungen. Und wenn ich eine Idee, einen Wunsch oder einfach nur ein Hirngespinst aufzuwarten hatte, dann konnte ich dieses zwar verwirklichen, aber nicht mit der Akzeptanz meiner Umwelt rechnen. Deshalb öffnete ich erschrocken meinen Mund, schloß ihn dann wieder, als mir nichts einfiel, was ich sagen könnte, öffnete ihn dann wieder, weil ich doch eine Meinungsäußerung tätigen wollte, ließ es dann aber doch bleiben und verringerte den Abstand zwischen Ober- und Unterlippe, bis er sich den Wert Null verdächtig weit näherte und ich mich endlich entschließen konnte „Ja, du hast wahrscheinlich recht. Brechen wir auf“ zu sagen.
Und das taten wir dann auch.
Ich will euch jetzt nicht damit langweilen, daß ich beschreibe, wie wir über Wiesen und Felder, über Brücken und durch Tunnels, um Bäume herum und Brennesseln hindurch gingen und dabei zahlreiche haarsträubende, aufregende, einfach wahnsinnig spannende und für die Menschheit überaus wichtige Abenteuer erlebten, aus den einfachen Grund heraus, weil es nicht der Wahrheit entspricht, sondern wir begaben uns bloß in den an mein Elternhaus angrenzenden Wald hinein. Wir kämpften uns den schon ein wenig verwilderten Weg entlang, der zur alten Ruine der Kelten führte, die meinem Heimatort seinen Namen gab und erreichten schließlich die Opferstätte des alten schon längst ausgestorbenen Volkes.
Warum führte mich mein kleiner Freund bloß an diese mir nicht unbekannte Stelle. Hier war ich doch schon mindestens tausendmal - fast - gewesen. Dabei konnte ich niemals etwas Geheimnisumwobenes, für die Menschheit oder auch nur für mich Wichtiges entdecken. Trotzdem zeigte mein innerer Schweinehund mit seiner rechten Vorderpfote, wobei er nur mühsam das Gleichgewicht halten konnte, auf die verschüttete und mit zahlreichen Pflanzen überwucherte ehemalige Pforte eines Geheimganges, der angeblich einmal in die inzwischen längst zur vollständigen Unkenntlichkeit mutierten und in ihre einzelnen Bestandteile zerfallene Ruine führen sollte.
Na gut, dann fing ich eben zu graben an. Ich hatte momentan sowieso nichts besseres zu tun.
Ich konnte es gar nicht glauben. Nachdem ich mich nicht einmal eine halbe Stunde lang abgerackert hatte, da kam sie zum Vorschein: Die erhoffte aber nicht wirklich erwartete Öffnung, die den Anfang des Stollens bilden sollte. Mühsam zwängte ich mich durch das enge Loch hindurch. Mein innerer Schweinehund folgte mich sogleich. Zuerst konnte ich nichts erkennen. Erst als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, ein matter Strahl konnte sich doch durch den Eingang hindurchzwängen und meinen Sehorganen genug Helligkeit übermitteln, konnte ich erkennen, daß der Gang nach drei Metern bereits wieder zu Ende war, weil das umliegende Erdreich den einstigen Leerraum zurückerobert hatte. Aber ich mußte gar nicht mehr weiter, wie ich kurz darauf feststellte.
Da stand sie. Zugegeben. Sie war schon ein wenig verstaubt. Die Eisenbeschläge der Holzkiste setzten schon Rost an. Aber was soll's. Das Äußere war oft nicht so wichtig. Auf den Inhalt kam es an und der konnte nur wertvoll sein. Eine innere Spannung erfüllte mich, wenn ich daran dachte, was mein geheimer Fund wohl enthalten würde. Gold? Platin? Diamanten? Die einfachste Möglichkeit, das festzustellen, war, einfach nachzuschauen. Dazu mußte ich aber erst dieses dunkle Loch verlassen, was ich dann auch tat. Vorsichtig versuchte ich die Kiste hochzuheben. Ich stellte mich schon auf ein schier unmöglich zu bewältigendes Gewicht ein. Aber siehe da. Sie war gar nicht so schwer. Mit einer Leichtigkeit stemmte ich sie hoch, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. War die Kiste am Ende vielleicht leer? Nein, das durfte nicht sein. Wahrscheinlich enthielt sie nur eine Schatzkarte, die mich dann zu den wahren Reichtümern hingeleiten würde. Ich brannte darauf, die Beschläge zu öffnen und mir sofort Gewißheit zu verschaffen. Als ich den Geheimgang verlassen hatte, setzte ich meinen vorigen Gedanken sofort in die Tat um.
Ich wurde dabei nur kurz unterbrochen, als die Höhle in sich zusammenstürzte und der dabei aufgewirbelte Staub mich so in der Nase kitzelte, daß ich niesen mußte. Aber dann ging es sofort weiter. Mit einem faustgroßen Stein hämmerte ich wie wild auf die Eisenschlösser ein. Schließlich gaben sie mit einem leisen Knirschen nach und zerfielen in einzelne Bruchstücke. Der Weg für meine ungebremste Neugierde war also frei. Langsam und diesen Moment genußvoll noch ein paar Sekunden hinauszögernd öffnete ich die Kiste. Die Scharniere quietschten. Unnötig zu erwähnen, daß sie wohl schon lange nicht mehr geölt worden waren.
Als ich meinen ersten Blick in das Innere meines Fundstückes werfen konnte, war ich zuerst einmal überrascht. Mit diesem Inhalt hatte ich nicht gerechnet. Eigentlich war ich mir nicht im Klaren, wie ich dieser Situation begegnen sollte. Konnte man das zu Geld machen? Wenn ich jetzt behaupten würde, ein greller Lichtschein blendete mich, so daß ich für immer und ewig mein Augenlicht verlor, dann würde ich lügen. Aber das matte Leuchten, das mir entgegenschwappte, war mir auch nicht ganz geheuer.
Jetzt erst bemerkte ich, daß mein seltsamer Begleiter noch immer da war. Auf ihn hatte ich in meiner Aufregung ganz vergessen.
„Was hälts Du angesichts dieser Sache für angebracht?“ fragte ich meinen inneren Schweinehund.
Da das Unterbewußtsein oft mehr weiß, als das Bewußtsein und mein kleiner Freund eigentlich zu ersterem zählte, hatte er sofort eine passende Antwort parat.
„Beuge dich über die Kiste, atme tief ein und sag' mir dann, wie du dich fühlst?“
Ich tat, wie mir geheißen und etwas nicht wirklich weltbewegendes Wunderbares aber doch recht Angenehmes geschah mit mir. Ich fühlte mich auf einmal so richtig glücklich und fröhlich. Plötzlich hätte ich große Lust darauf gehabt, jeden voll Liebe zu umarmen. Da sich nur mein innerer Schweinehund in meiner unmittelbaren Nähe befand mußte er daran glauben. Meine beiden Arme umschlossen ihn mit einer Freude, die ihresgleichen lange suchen konnte, aber nicht so schnell finden würde. Das war schöner als sich am Ufer der Salzach hinzulegen und die warmen Sonnenstrahlen zu genießen, die einem im Gesicht kitzelten, während man die Beine ins Wasser und die Seele weiß Gott wohin baumeln ließ.
„Ist ja schon gut, mein Freund“, meinte er. „Laß mich jetzt bitte wieder los. Es ist Zeit, daß ich wieder in dich zurückkehre. Mir ist kalt. Meine Aufgabe hier heraußen ist erfüllt. Bedenke aber folgendes: Es findet nicht jeder eine Kiste mit Lebensfreude. Es kommt ganz allein auf dich an, was du mit diesem Fund machst. Tschüß. Baba. Aufwiedersehen. Mach's gut.“
Ich konnte gerade noch die Hand zum Abschied heben, da war er auch schon weg, oder besser gesagt, wieder in mir drin. Na gut. Was soll's. Da gehörte er schließlich hin, auch wenn mir inzwischen ein wenig vor ihm ekelte, jetzt wo ich wußte, wie er aussah. Nun hieß es überlegen, wo ich die Kiste verstecken sollte, damit sie außer mir niemand mehr fand. Schließlich war Lebensfreude ein so wertvolles Gut, auf das man besonders aufpassen mußte, damit es einem nicht abhanden kommen konnte. Außerdem war es höchstwahrscheinlich unverkäuflich. Wieviel sollte man für ein Kilo Lebensfreude schon verlangen? 10.000,-- Schilling, 100.000,-- Dollar oder gar 1.000.000,-- Englische Pfund? Oder sollte man sie in kleinere Portionen aufteilen? Deka oder Gramm? Nein, sie war zu wertvoll. Ich wollte sie gar nicht mehr hergeben.
Bis ich mich zu einer endgültigen Entscheidung durchringen konnte, vergrub ich am besten die Schatztruhe im Waldboden. Einen letzten Blick warf ich noch auf meinen Fund, wobei mich wollige Wonneschauer durchfluteten. Danach schlug ich den Deckel zu, holte Spitzhacke und Schaufel, hob ein Loch aus, stellte die Kiste hinein, bedeckte sie mit Steinen, Erdreich, Laub und Tannennadeln und freute mich, daß mir das Versteck so überaus perfekt gelungen war. Schließlich notierte ich mir noch die genaue Position der Schatztruhe auf einem Blatt Papier, versuchte mir die Lage einzuprägen und verließ dann leichten Schrittes, dabei munter ein Liedchen pfeifend den nicht finsteren und keineswegs furchtbar kalten Wald.
So gingen nicht allzuviele aber doch einige Tage ins Land und ich glaubte, zu verspüren, daß es mir wesentlich besser ging, als all die Tage, Monate, Jahre zuvor. Ich vermeinte, die Entdeckung eines völlig neuen Lebensgefühles zu erfahren. Ich brauchte keine Drogen mehr, nicht einmal Kaffee. Ich hatte keine heißen Diskussionen mit meinen Eltern mehr, wenn es um Fragen meiner Erziehung ging. Ich war mit einem Mal rundherum glücklich und ging oft im Wald spazieren. Denn schließlich hatte ich ja auf meinen Schatz aufzupassen. Jeden Tag mußte ich mehrmals kontrollieren, daß er mir nicht abhanden kam. Niemand sollte ihn entdecken. Er war schließlich zu kostbar, um ihn mit jemand teilen zu können, der ihn gebührend zu würdigen wußte. Er gehörte nur mir allein.
Aber schließlich war es wieder soweit. Die all zu bekannte Gleichgültigkeit und ein Hauch von Depression schienen wieder über mich herfallen zu wollen. Anscheinend verlor das Wundermittel langsam aber mit einer Sicherheit, die mir gar nicht gefallen wollte, seine Wirkung. Doch das war ja gar kein Problem. Ich brauchte bloß wieder in den Wald zu gehen, die Kisten auszugraben, den Deckel zu öffnen und ein paarmal kurz, dafür um so kräftiger durchzuatmen. Das gewünschte Glücksgefühl würde sich dann wieder von alleine einstellen.
Kaum war der Gedanke gedacht, beschloß ich, ihn umgehend in die Tat umzusetzen. Ich knallte die Haustüre hinter mir zu, eilte davon, und erreichte sehr bald wieder den verwilderten Waldweg. Kurz darauf kam ich zu der Stelle, an der ich die Truhe vergraben hatte. Eifrig setzte ich Schaufel, Spitzhacke und Hände ein, um meinen geheimen Schatz auszugraben. Und siehe da, die Kiste war noch immer da. Niemand hatte es gewagt, mir meinen Fund streitig zu machen. Ganz vorsichtig, um ja nichts vom wertvollen Inhalt zu verschütten, öffnete ich die Schatztruhe, schloß die Augen, beugte mich über sie und - mußte kräftig niesen, so daß der grauschwarze Staub in ihr nur so herumwirbelte.
Was war geschehen? Ich fand nicht vor, was ich erwartet hatte. Dieses dunkle, fast schon ekelerregende Pulver wollte mir gar nicht gefallen. Wo war der ursprünglich erwartete Inhalt geblieben? Hatte mir da jemand einen Streich gespielt und die matt leuchtende, Glückseligkeit verbreitende Substanz heimtückisch entfernt und durch diesen Angst einflößenden, dunklen Staub ersetzt? Nein, das durfte nicht sein. Das war gemein. Kalte Wut stieg in mir auf.
Jetzt tat ich etwas, was ich möglicherweise unterlassen hätte sollen. Da ich total in Rage geraten war, verpaßte ich der Holzkiste einen kräftigen Tritt, der jeden Stürmer in unserem Fußballnationalteam vor Neid erblassen hätte lassen, mir aber nur eine verstauchte Zehe einbrachte. Mit einem satten Krachen zerfiel die Truhe in kleinere und größere Bruchstücke, die Scharniere und Beschläge hatten keine Lust mehr ihre angestammte Aufgabe zu erfüllen und fielen wertlos geworden auf den Waldboden. Der dunkle Inhalt nahm einen Weg, den ich gar nicht für gut heißen konnte. Denn ein kräftiger Windstoß, der mir zu meinem Unglück noch gefehlt hatte und mich wohl nur deshalb mit seiner Anwesenheit beehrte, fuhr mit Schwung und geballter Energie durch die Bäume, erfaßte einen großen Anteil des Pulvers und verteilte es hinterhältig und sicher mit voller Absicht gleichmäßig über den Ort.
Ich brauche wohl nicht mehr viel zu erzählen. Denn seit diesen mir gar nicht zusagenden Ereignissen, wird meine Heimatgemeinde vom Pech verfolgt. Unnötig zu erwähnen, worauf die Hochwässer, Stürme, Feuersbrünste und Überprüfungen der Betriebe durch das Finanzamt zurückzuführen sind. Eines weiß ich seitdem. Es würde nichts mehr so werden wie es einmal war. Nie mehr würde ich Spaß an einer Rave-Partie haben, abgesehen davon, daß ich sowieso nie an ihnen wirklichen Gefallen finden konnte. Jetzt sehnte ich mich sogar wieder nach meiner normalen schlechten Laune oder persönlichen Lebensunsicherheit zurück, die mich früher zu quälen schien, in mir jetzt aber wahrlich wunderbare, nostalgisch angehauchte Gefühle vorgaukelte.
Und wer war an allem Schuld? Wer hatte mir das alles eingebrockt? - Mein innerer Schweinehund. Er soll es ja nicht mehr wagen mir unter die Augen zu treten! Aber sein hämisches Kichern in meinem Kopf kann ich leider nicht verhindern. Wenigstens einer der Lachen kann. Das alleine sollte mich wieder fröhlicher stimmen, tut es aber nicht.
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