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Sigrid Steiner

Crash der Birgen Air - 1996 in der Dominikanischen Republik

6.Februar 1996. Die „Deutsche Welle“ bringt die Schreckensmeldung um 6.00 Uhr morgens bereits zum zweiten Mal über den Äther. Katastrophaler Flugzeugabsturz in der Do-minikanischen Republik, nahe Puerto Plata, nur etwa 30 Kilometer von meinem damaligen Domizil entfernt. Ich lebte nun schon seit knapp einem Jahr, im Land, wo immer die Sonne scheint.
Als Herausgeber, eines dreisprachigen Monatsmagazins mit Hintergrundinfos über „Land und Leute“, nutzte ich meine Presserechte und fuhr zum Flughafen „Luperon“, von wo aus die Boing 757 erst vor wenigen Stunden mit Kurs nach Deutschland gestartet war. Es gelang mir den Flughafenkommandant für ein Interview zu gewinnen. Bereits sieben Minuten nach dem Start war die Maschine der Fluggesellschaft Birgen Air, wie ein Stein, vom Himmel ins Meer gestürzt. Aus einer Höhe von etwa 5.000 Fuß, zerschellt. Man rechne nicht mit Überlebenden und suche bereits nach der Black-Box, die wohl einzig und allein, über die Absturzursache Aufschluß geben könne.
Ich wollte es genau wissen und fuhr direkt zum Marinehafen nach Puerto Plata. Ausgerüstet mit Diktaphon, Kamera und Presseausweis, gelangte ich ungehindert durch die Absperrung. Ich bezog Stellung nahe einem Kühlcontainer, von wo aus ich einen guten Überblick über das Geschehen hatte. Ein Boot der Marina legte gerade im Hafenbecken an, um die ersten Toten an Land zu bringen. Helfer des Roten-Kreuz schafften große schwarze Säcke, mit Reißverschlüssen, auf die dafür vorbereiteten Bahren. Vor dem Container wurde dann der erste Sack, direkt vor meinen Augen geöffnet. Was ich da zu sehen bekam, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Ein bis zur Unkenntlichkeit entstellter Korpus, konnte lediglich mehr anhand des Geschlechts mit einem entsprechenden Bändchen versehen, gekennzeichnet und so registriert werden.
Ein Sack nach dem anderen wurde geöffnet und auf dieselbe Weise abgefertigt, um anschließend in den Kühlcontainer gebracht zu werden. Teilweise stellte sich das Problem, daß die Rot-Kreuz Helfer nicht mehr wußten, woran sie die Kennkarten befestigen sollten, da in den wenigsten Fällen noch etwas heil geblieben war. Die Männer mußten immer wieder von ihrer Arbeit ablassen, um sich zu übergeben. Ein grauenhafter Anblick, der mich heute noch manchmal verfolgt.
Immer mehr Leichen wurden geborgen und an Land gebracht, es schien kein Ende zu nehmen. Die Bergungsarbeiten wurden noch den ganzen Tag über fortgesetzt und die Rot-Kreuz Männer leisteten Übermenschliches. Die Liste füllte sich und die Sonne knallte mittlerweile erbarmungslos auf den Asphalt. Alsbald verbreitete sich übelster Gestank.
Gegen Mittag erschien der Deutsche Botschafter und gab über das Dominikanische Fernsehen, seiner Erschütterung öffentlich Ausdruck. Am frühen Nachmittag bekam ich dann die Möglichkeit, in einem etwas größeren Boot der Marina, mit hinaus zur Absturzstelle zu fahren. Im haiverseuchten Gewässer trieben Wrackteile, Reisepässe und zerfetzte Koffer deren Inhalt sich wie ein bunter Teppich auf der Wasseroberfläche verteilte. Unmittelbar neben dem Boot, schauckelte eine Puppe auf den Wellen auf und ab. Dieser Anblick erinnerte mich an ein kleines Mädchen von vielleicht 8 Jahren, das vor etwa zwei Stunden an Land gebracht worden war. Es hatte noch Perlen an Zöpfen im blonden Haar, wie es sich Touristen von haitianischen Frauen im Urlaub gerne machen lassen. Das Kind war im Gegensatz zu den meisten anderen Verunglückten, nahezu unversehrt und fast vollständig bekleidet. Vielleicht wurde es bis zum bitteren Ende von seiner Mutter geschützt? Wer weiß schon, was sich in den letzten nervenzerreisenden Minuten vor dem Aufprall an Bord der Boing 757 für ein Drama abgespielt hat?
Das Boot voller Leichen, liefen wir etwa drei Stunden später wieder im Hafen ein. Dort traf auf eine weinende Dominikanerin, die den Tod ihrer Schwester beklagte. Sie gehörte zur Besatzung und war erst vierundzwanzigjährig, nun auf so grausame Weise umgekommen. Eine andere Frau, ebenfalls Mitglied der Crew, stand erschüttert daneben. Sie hatte Glück gehabt, denn nur einem wahrgenommenen Arzttermin verdankte sie nun ihr Leben.
Wohin man auch sah, es herrschte heilloses Durcheinander. Die Retungsmannschaft, nun schon seit Stunden unermüdlich im Einsatz, war völlig erschöpft und ausgelaugt, am Ende ihrer Kräfte. Presse- und Fernsehleute schwirrten durch die Gegend um Angehörige der Besatzungsmitglieder zu interviewen, Kameras blitzen unentwegt, hielten die Bilder des Grauens ein für alle mal fest und mir kamen Ort und Szene immer unwirklicher vor. Ich hatte meine Aufzeichnungen getan, Fotos geschossen, einige Interviews auf Tonband aufgezeichnet und verließ nun zutiefst betroffen diesen Ort des Massakers. Gesehenes zu verarbeiten, sollte mein Los der nächsten Wochen sein.

In den darauffolgenden Tagen wurden laufend Angehörige der Opfer aus Deutschland eingeflogen, um die Toten, oder besser deren Überreste, zu identifizieren. Zu diesem Anlaß, kehrte ich noch einmal zum Schauplatz zurück und betrat diesmal auch einen der Kühlcontainer. Dort bot sich uns ein wahres Inferno. Man hatte letztendlich darauf verzichtet eine gewisse Disposition einzuhalten und so mußte nun neuerlich selektiert werden. Jene Verstorbenen, von denen man annahm, das sie wenigstens noch anhand ihres Antlitzes, wenn auch größtenteils eher Grimassen gleichend, identifiziert werden könnten, wurden zwischen den anderen wieder hervorgezerrt. Es war einfach würdelos was da geschah, aber anders offenbar nicht zu bewältigen. Auf eine derartige Katastrophe war niemand vorbereitet. Man arbeitete mit dem was zur Verfügung stand und improvisierte so gut wie möglich. Nie werde ich die geschockten Gesichter der Angehörigen und den intensiven Geruch des Todes vergessen. Die Kühlaggregate konnten ihre volle Leistung längst nicht mehr erbringen, sodaß die Temperatur in den Containern auf 7°C angestiegen war und man sich nicht vorstellen kann, welch penetranter Verwesungsgeruch uns umgab.
Dieses Erlebnis war wohl das bisher tiefgreifendste seiner Art, obwohl im Rahmen meiner früheren journalistischen Tätigkeit oft mit menschlichen Schicksalen konfrontiert, so zählt jenes doch mit Abstand zu den einschneidensten und unvergesslichsten meines Lebens.

Abschließend möchte ich noch die sinngemäß übersetzten Aufzeichnungen, der aus knapp 1000 Meter Tiefe geborgenen Black-Box inhaltlich wiedergeben. Die Pilotencrew, glaubte bis zur letzten Sekunde, die außer Kontrolle geratene Maschine wieder in den Griff zu bekommen.

Bereits 46 Sekunden nach dem Start bemerkt der Pilot, daß der Geschwindigkeitsanzeiger defekt ist. Nach den Gesprächsaufzeichnungen zwischen Pilot und Co-Pilot zu urteilen, verläuft der Start ansonsten normal. 1,27 Minuten später wird der Autopilot aktiviert. Exakt nach 2,48 Minuten Flugzeit meldet der Kapitän: “Da gibt es ein Problem, der Bordcomputer spielt verrückt!“ Er vergewissert sich, daß sein Co-Pilot dieselbe Unregelmäßigkeit registriert und fügt hinzu: „Wir fliegen mit 200 Knoten, sinken aber!“ Ab diesem Zeitpunkt stand fest, daß die Maschine bereits bedenklich an Geschwindigkeit verlor. Nach 3,12 Minuten meldet der Kapitän abermals: „Wir haben Probleme. Checken wir den Unterbrecher der Schaltkreise!“

Die Maschine verliert weiterhin an Geschwindigkeit und Höhe. Die Piloten erkennen anscheinend noch nicht die Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Nach 3,48 Minuten geht der Alarm der „Übergeschwindigkeitsanzeige los. „No hay problema“, dazu die Aussage des Piloten. Dieser Umstand bereite ihm keine Probleme. 11 Sekunden später erlischt der Alarm auch wieder. Nach 4,12 Minuten Flugzeit setzen plötzlich 4 Alarmsignale ein, die auch bis zum Ende der Aufzeichnungen nicht wieder erlöschen. Nach 4,27 Minuten bestätigt der Co-Pilot daß sich die Nase des Flugzeugs deutlich in Richtung Meer senkt, was auch den höchsten Alarm in der Pilotenkabine ausgelöst haben mag. 16 Sekunden später befiehlt der Kapitän:“ Mehr Schub erzeugen!“, in der Hoffnung so die Maschine abzufangen und einen Ausgleich zu versuchen.
Der Autopilot wird abgeschaltet und man fliegt die Maschine von Hand. Dennoch verlieren sie immer mehr an Höhe und vermutlich ist das Flugzeug zu jenem Zeitpunkt bereits völlig außer Kontrolle geraten. Die zittrige Stimme des Piloten: “Was machen wir denn jetzt!“ „Halten der Flughöhe!“ kommt die knappe und genervte Antwort des Co-Piloten. Nach 5,11 Minuten, in nur mehr etwa 6.000 Fuß Höhe fleht der Kapitän eindringlich um mehr Schub, er könne die Maschine sonst unmöglich wieder hochbringen. „Schub erhöhen, bitte, nicht reduzieren, bitte!“ Die Antwort des Co-Piloten: „Okay, okay, offen - voller Schub!“ „Mehr, wir brauchen um Gottes Willen mehr Schub.“ Nach 5,17 Minuten die lauten Worte des Kapitäns: “Wir haben zu wenig Schub, nicht reduzieren - bitte nicht reduzieren, vollen Schub! Oh, Gott was passiert mit uns!“ Die Panik in der Stimme des Co-Piloten ist unüberhöhrbar: “Was geht hier vor, was passiert bloß mit uns?“
Zwei Sekunden vor Ende der Aufzeichnungen des Flugschreibers, die letzten Worte des Kapitäns: “Dann machen wir es auf diese Art.....!“, danach gespenstische Stille. In jener Sekunde muß die Boing 757 aus einer Höhe von 5.000 Fuß mit voller Wucht am Meer aufgeschlagen sein.


Die Tatsache, daß die Maschine der Birgen Air während der letzten 2 Wochen, aufgrund mangelnder Aufträge im Hanger gestanden hatte, läßt eigene Gedanken aufkommen...

Quellennachweis:
„Dom.Rep.Schornal“ 4/96
„Ultima Hora“ 28/02/96


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