Lundgren kaufte sich einen Revolver. Er ging ganz
einfach in das kleine Geschäft an der Ecke
Kreutzgasse-Tegnerstraße und erwarb einen Revolver
Kaliber Elefantentod. Nicht, daß er hätte erklären
können, warum er gerade in diesen Laden gegangen war
oder weshalb er überhaupt eine Pistole erstanden
hatte, aber er bezahlte bar und ergatterte auch noch
einen Gutschein für freies Probetraining in einem der
unzähligen Schützenvereine, dessen Name versprach, daß
auf alles geschossen werden würde, was sich unter
Umständen bewegen könnte. Er war auch nicht
gewalttätig, im Gegenteil: nachdem er den in Papier
gehüllten Revolver in der geräumigen Jackentasche
verstaut hatte, half er einer alten Dame, die hilflos
am Rande einer stark befahrenen Straße stand, ohne mit
der Wimper zu zucken über dieselbe und setzte seinen
Weg gen das düstere Gebäude der Handelsbank fort. Aus
heiterem Himmel schlug es ihn, daß es gefährlich sein
könnte, eine Schußwaffe bei sich zu haben. Man könnte
sich ja weh tun! Lundgren war also nicht gewalttätig
und auch nicht blind für seine Mitmenschen, aber er
war wohl etwas wehleidig. Deshalb hatte ihn
wahrscheinlich auch seine geliebte Frau verlassen. Sie
hatte ihm einfach den Rücken gekehrt und war mit
diesem italienischen Gigolo nach Venedig abgedampft.
Um 13 Uhr 21 hatte sie die Tür ins Schloß geworfen und
war verschwunden. Er liebte seinen Digitalwecker. Oder
was von ihm nach dem mißglückten Wurf an die Wand
übriggeblieben war.
Wie dem auch sei, Lundgren stand neben einem der
knallgelben, städtischen Mistkübel und starrte auf das
unförmige Paket, das er nach kurzem Überlegen aus der
Tasche seiner Lederweste gerissen hatte, und versuchte
den aufkeimenden Ekel zu unterdrücken. Es gelang ihm
nicht. Verwirrt betrachtete er den dunklen Eingang des
Geldinstituts und zweifelte an seinem Verstand. Wie
hatte er nur diese Mordwaffe anschaffen können? Was
für eine Dummheit! Er hätte sich tatsächlich aus
Versehen selbst erschießen können! Welche Ironie! In
einer so gewalttätigen Stadt wie dieser seinen eigenen
Abgang selbst zu inszenieren und auch noch mit dem
allereigenen Revolver! Diesen Gefallen würde er seiner
Umwelt nicht tun. Lundgren warf das tödliche Paket in
den Mülleimer und setzte seinen Weg kopfschüttelnd
fort. Zu leben war schon gefährlich genug, spannender
brauchte er es nicht mehr zu machen. Man stelle sich
vor, er hätte sich mit einer Pistole aus dem
Sommerschlußverkauf beinahe selbst erschossen.
Hermansson starrte dem seltsamen, in eine abgewetzte
Lederjacke gekleideten Möchtegernbankräuber nach. Es
wurde immer schlimmer. Was sich nun schon alles auf
der Straße herumtrieb! Dieser fahlhaarige Macho schlug
dem Faß den Boden aus! Kopfschüttelnd schob
Hermansson, der in einem früheren Leben Bankdirektor
gewesen war, seinen verrosteten Einkaufswagen, in dem
sich leere Bierdosen mit den Teilen einer
Schaufensterpuppe - natürlich weiblichen Geschlechts,
er wollte ja nicht, daß die Leute ihn schief ansahen -
mischten, in Richtung Überraschungseimer und angelte
sich, nachdem er sich fluchend den halben Hamburger,
in den er versehentlich gegriffen hatte, von den
Resten seines Firmungsanzuges, dem einzigen
Kleidungsstück, das Hertha im gelassen hatte, gewischt
hatte, das in Packpapier eingewickelte Geschenk des
Ich-bin-ja-so-reich-und-schön-Idioten. Er warf es
achtlos in seinen Einkaufswagen und marschierte
murrend und schimpfend in Richtung Drei-Sterne-Mission
weiter. Der Fraß dort war grauenhaft. Aber hatte man
als abgebrannter Müllionär denn eine Wahl?
Pascal sah den abgerissenen Sandler schon von weitem.
Sah? Er roch ihn wohl eher. Der ohnehin siedendheiße
Zorn, der in ihm schon seit der verfluchten
Mathestunde dahinschwelte, kochte nun über. Ohne
darüber nachzudenken, zog er sein Messer und fixierte
den einkaufswagenschiebenden Obdachlosen. Obdachlos
würde er nicht mehr lange sein. Pascal begann zu
kichern.
"Gib schon her! Vielleicht lasse ich dich ja sogar am
Leben, du verwöhntes Muttersöhnchen!" Pascal krümmte
sich auf dem eiskalten Asphalt zusammen und versuchte
sich so gut es ging gegen die Tritte der drei
Totschläger zu wehren. Aber es ging nicht so gut.
"Der Arsch hat den alten Hermi kalt gemacht!"
"Hermi?!" "Dafür bringen wir dich um, du Bastard!" "Er
hat ihn einfach abgestochen und gelacht wie ein
Irrer!" "Ein irres Schwein also? Um den ist es ja eh
nicht schade!" Er spürte, daß irgend etwas in ihm
zerbrach, als einer der drei Brutalos gegen seinen
Kopf trat. Dann war da nichts mehr außer Schwärze.
Ulrich fühlte sich stark. Dieser miesen Kröte hatten
sie es gezeigt und Hermi gerächt. Aber das war
eigentlich Nebensache. Der Revolver, den er in seine
Hose gesteckt hatte, fühlte sich einfach großartig
an, und das nicht allzukleine Taschengeld, das der
Kampf mit dem verweichlichten Idioten eingebracht
hatte, würde für einen neuen CD-Player reichen. Er
begann vergnügt zu pfeifen. Daß er unmusikalisch war
und sein Gepfeife wie das Krächzen einer asthmatischen
Krähe klang, störte ihn nicht besonders. Und sollte es
jemanden stören, nun, dann würde ihm der Revolver
etwas pfeifen.
"Was denkst du dir eigentlich dabei? Ein Revolver?"
Die Ohrfeige, die auf diese Worte folgte, brannte
sogar noch schlimmer als die ersten beiden. Sein
Stiefvater war wieder einmal in Einbläulaune. "Wenn
ich heute von meinem Job zurückkomme, werden wir uns
noch einmal eingehender darüber unterhalten!".
Ruthmeier packte den Revolver und verließ wütend die
Wohnung.
Morgen würde er wohl nicht zur Schule gehen können.
Ulrich schlug mit beiden Fäusten gegen die Wand. Das
wütende Gekeife der alten Schachtel von nebenan
ignorierte er. Irgendwann würde sie an ihrem
Herumgebelle ersticken. Dafür würde er sorgen.
Ruthmeier machte sich nicht die Mühe leise zu sein.
Der Revolver gab ihm die nötige Sicherheit. Er hielt
das Haus, in das er nun eingestiegen war, schon seit
gut einer Woche in ständiger Beobachtung. Hier dürfte
einiges zu holen sein. Er begann vergnügt zu grinsen
und, nachdem er sich und seinen Bierbauch durch das
Fenster gequetscht hatte, stimmte er eine Arie aus
Aida an.
Diese verfluchte Nachbarskatze! Lundgren stürzte,
nachdem er sich ungeschickt in seinem eigenen
Bettlaken verfangen hatte aus dem Bett und schlug sich
seinen wertvollen Kopf an. Diesmal würde er das Vieh
erschlagen.
Er schnappte sich einen seiner geliebten Golfschläger
und stürmte in Richtung Küche, aus der diese gequälten
Laute kamen, davon.
Er traute seinen Augen nicht. Ein Einbrecher von der
Statur eines bayrischen Kampftrinkers durchwühlte
seine Schmutzwäsche und sang dabei. Nun ja, sang? Er
quietschte. Das traf es wohl eher.
"Entschludigen Sie, was machen Sie denn da?" Plötzlich
kam ihm der Gedanke, daß das wohl nicht die passendste
Eröffnungsreplik in einem Gespräch mit einem
arienschmetternden Einbrecher war, aber er mußte
wissen, was dieses Gequieke sollte.
Ruthmeier drehte sich betont gelangweilt herum und
musterte den schreckensbleichen, verschlafen wirkenden
Mann von oben bis unten. Der Mann hatte wohl noch nie
etwas von frischen Unterhosen gehört und kannte
Rasierer wahrscheinlich nur vom Hörensagen. "Ich bin
dabei hier einzubrechen und mir einige Dinge
einzupacken. Ich würde Ihnen empfehlen, mich nicht
weiter zu belästigen." Der bleiche Mann blinzelte
verstört und hob zögernd den Golfschläger, den er
krampfhaft umklammert hielt.
Herbert Alois Wilfried Ruthmeier, der mit Mädchennamen
Putzi geheißen hatte, zog seufzend den Revolver, den
er seinem unfähigen Stiefsohn abgenommen hatte, und
richtete ihn auf den haarigen Siebenschläfer. "Wollen
Sie, daß ich Ihnen noch mehr Argumente für einen
Rückzug Ihrerseits liefere?"
Lundgren erstarrte als er den Revolver sah. Und
wiedererkannte. Immerhin war es ein Sondermodell
gewesen. Und immerhin hing auch das vermaledeite
Preisschild mit dem Sonderpreis immer noch am Abzug.
Irgend etwas war dabei schief zu gehen. Lundgren
begann brüllend zu lachen. Und warf in einer
unbeabsichtigten Bewegung seinen Lieblingsputter in
Richtung nächtlichen Besucher.
Erling klammerte sich bibbernd an ihre Katze. Es wurde
in dieser Nachbarschaft immer schlimmer. Zuerst gab es
da jemanden, der wie ein Irrer darauf loslachte, und
dann gab es jemanden, der diesem Lachen mit einer
Pistole ein Ende setzte. Es war immer dasselbe.
"Kannst du dir den Tathergang erklären?" "Nun, ich
nehme an der Hausbesitzer ist mit dem Golfschläger...
Das da im Kopf des Einbrechers ist doch ein
Golfschläger?" "Japp!" "Also er ist mit dem
Golfschläger auf den Fensterkletterer losgegangen und
der hat abgedrückt." "Japp!" "Japp?" "Japp!" Dieses
verfluchte "Japp!" hing Mickelsson schon zum Hals
heraus. Seine Hand zuckte zu seiner klobigen
Dienstwaffe.
Die Tatwaffe, die Lundgren selbst im
Sommerschlußverkauf erstanden hatte, danach in einem
Anfall von Ich-könnte-mir-ja-weh-tun weggeworfen und
vergessen hatte, und die danach in den Besitz eines
sandlertötenden Mathegenies übergegangen war und
danach im wahrsten Sinn des Wortes an einen Schläger
abgetreten worden war, der sie wiederum am seinen
geliebten Vater weitergereicht hatte, der sie
unbedingt dem ursprünglichen Besitzer wiedergeben
wollte, lag spöttisch glitzernd im Mondlicht.
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