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Gabriele Hasmann

Wer hat mich ermordet?

7 Stunden und 52 Minuten vor meinem Tod:
Der bernsteinfarbene Mond hing prall am Himmel, als ich auf der Terrasse eines Feinschmeckerlokals auf Ibiza inmitten meiner Freunde fröhlich lachte und mit erlesenem Rotwein auf den gelungenen Urlaub anstieß, auch wenn ich dabei meinen Blick kaum von dem die Szenerie dominierenden Himmelskörper abwenden konnte - der Mond sah aus, als würde er jeden Moment Tropfen aus glitzerndem Honig fallen lassen.
Unsere Runde bestand aus Marlene und ihrem Freund Felix, der Single-Frau Renate, Werner, der hier mit uns seinen Junggesellenabschied feierte, Christoph, meinem Ex-Freund, der nach der Trennung zu einem guten Kumpel geworden war, und Harald, unserem Playboy, der sich nie länger als einen Monat an eine Frau binden konnte oder wollte - und natürlich aus mir, einer 27-jährigen Modedesignerin mit dem Namen Josephine, genannt Jo, die oft Glück im Spiel, aber immer Pech in der Liebe hatte und noch auf den Traumprinzen wartete. Dieser musste sie zwar nicht auf sein Ross heben und mit ihr in den Sonnenuntergang reiten, aber an ihrer Seite durch das gemeinsame Leben gehen und ihr dabei hin und wieder seine starke Schulter zum Anlehnen bieten.
Meine Freunde lachten laut und schon ein wenig unkontrolliert, der starke Wein tat seine Wirkung. Auch ich fühlte mich ein wenig benommen, aber noch nicht beschwipst, und beschloss, auf Wasser umzusteigen, bevor ich morgen mit einem Kater im Hotelzimmer aufwachen würde - eigentlich wäre mir die Anwesenheit eines menschlichen, männlichen Wesens in meinem Bett lieber gewesen, doch hier auf Ibiza wollte ich mich nicht verlieben, und ein One-Night-Stand kam für mich nicht infrage, da ich noch nie ein Fan von unverbindlichem Sex war.

6 Stunden und 43 Minuten vor meinem Tod:
Eine Stunde später wollten meine Freunde aufbrechen, die Uhr zeigte bereits eine halbe Stunde nach Mitternacht an und niemand schien mehr richtig nüchtern zu sein, außer Marlene, die fast nie Alkohol trank, und mir. Wir bezahlten und torkelten - Marlene stützte ihren Freund Felix, ich manövrierte Christoph - in der Gruppe Richtung Ausgang, als der spanische Kellner, der uns bedient hatte, auf mich zukam und mir einen Zettel zusteckte. Er erklärte mir in gebrochenem Deutsch, dass ich den Inhalt erst in 30 Minuten lesen durfte. Ich steckte das Blatt Papier achtlos in eine Tasche meiner Jeans, fasste Christoph, der bereits ein wenig abdriftete und dabei dümmlich kicherte, fester um die Hüfte und schob ihn die Stufen hinunter auf die Straße, die zu unserem Hotel führte.
Als endlich alle auf ihren Zimmern angekommen waren und ich auch meinen Kumpel sicher ins Bett gebracht und ihm noch die Schuhe ausgezogen hatte, beschloss ich, einen Spaziergang zum Strand zu unternehmen und noch ein wenig dem Klang des Ozeans zu lauschen, bevor ich schlafen ging. Ich ließ mich am Ufer in den warmen Sand fallen und schaute auf die glitzernde Wasseroberfläche, die beinahe bewegungslos vor mir lag. Der goldbraune Mond tanzte sachte auf den kaum sichtbaren Wellen und ich stellte mir vor, dass sein süßer Nektar nun ins Meer tropfte, direkt in die Münder zahlreicher Nixen und ihrer Freunde. Dann fiel mir der Zettel in meiner Hosentasche ein.

6 Stunden und 5 Minuten vor meinem Tod:
Ich entfaltete das Blatt Papier und las den Satz, der in Druckbuchstaben darauf stand. Danach holte ich mein Handy aus der Handtasche und wählte den Notruf: "Ich glaube, ich wurde ermordet. Bitte helfen Sie mir!"

5 Stunden und 32 Minuten vor meinem Tod:
Einige Zeit später wimmelte es auf dem Strand von Polizeibeamten, auf der Straße standen drei Wägen mit Blaulicht, und die laue Nacht war durchsetzt von aufgeregtem Stimmengewirr. Während mich ein Notarzt untersuchte, stellte mir ein streng aussehender Comisario, der erstaunlich gut Deutsch sprach, Fragen zu dem Zettel, den mir der Kellner in dem Restaurant zugesteckt hatte und der sich mittlerweile sicher verwahrt auf dem Weg in ein Labor befand. "Wer könnte diese Zeilen geschrieben haben, Señora?" "Ich weiß es nicht, ich habe wirklich keine Ahnung!", gab ich zur Antwort. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob es sich bei der Nachricht um einen Scherz handelte, oder ob ich mich tatsächlich in Lebensgefahr befand. Der Arzt flüsterte dem Comisario etwas auf Spanisch zu, der daraufhin seine Stirn runzelte und betreten einen Punkt weit hinten am Horizont fixierte. Der Mediziner wandte sich mir zu und erklärte: "Wir mussen in Hospital, dort besser untersuchen, mehr Geräte …" Der Comisario nickte, fasste vorsichtig nach meinem Arm, brachte mich hinauf zur Straße und half mir dort in den Rettungswagen, der mich mit Blaulicht und Sirenengeheule ins Krankenhaus brachte.
Auf dem Blatt Papier, das hoffentlich bald Aufschluss über denjenigen geben konnte, der es beschrieben hatte, war zu lesen gewesen: Man hat dich heute Nacht vergiftet, du wirst innerhalb der nächsten acht Stunden sterben!

3 Stunden und 10 Minuten vor meinem Tod:
Nach zahlreichen Untersuchungen, im Zuge derer man tatsächlich Gift in meinem Körper fand, lag ich in einem Bett im Krankenhaus, um mich herum standen meine Freunde, die von der Polizei aus dem Hotel geholt worden waren, noch zum größten Teil alkoholisiert zu sein schienen und aus kleinen, müden Augen bestürzt auf mich hinunter schauten. Nur Werner fehlte, er war kaum ansprechbar gewesen und musste seinen Rausch ausschlafen. Marlene und Renate schluchzten leise, während Felix und Harald wie versteinert dastanden und sich kaum bewegten. Christoph schüttelte mehrmals den Kopf und murmelte dann immer wieder gebetsmühlenartig vor sich hin: "Das darf doch alles nicht wahr sein."
Ein deutschsprachiger Arzt betrat das Zimmer und teilte mir dasselbe mit, wie schon etwas 20 Minuten zuvor: "Wir wissen immer noch nicht, was genau Ihnen verabreicht wurde, nur, dass sich die Substanz in Ihrem Essen befunden haben muss. Der Comisario hat die Besitzer des Lokals und das gesamte Personal, vor allem den Kellner, der Ihnen den Zettel überreicht hat, aus dem Schlaf geklingelt, verhört jetzt alle Personen auf dem Kommissariat und hält uns auf dem Laufenden. Bisher hat die Befragung nichts ergeben, doch das wird er Ihnen selbst auch noch sagen. Er wollte sich vor fünf Minuten auf den Weg machen und herkommen, um Ihre Freunde zu vernehmen." Der Arzt warf dem kleinen Grüppchen in dem Raum einen kühlen Blick zu und fasste dann mitleidig nach meiner Hand: "Ich fürchte, wenn wir nicht bald wissen, was Sie zu sich genommen haben, werden Ihre Organe bald zu versagen beginnen. Wir haben Ihnen ein stabilisierendes Medikament verabreicht, doch das kann nicht spezifisch wirken und daher den körperlichen Verfall nur vorübergehend aufhalten. Das Gift breitet sich aus, zwar nicht sehr schnell, aber beständig. Es tut mir so leid … Ich wollte, ich könnte mehr unternehmen." "Was ist mit Werner?", stieß Christoph aggressiv zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Irritiert sah mich der Mediziner an, doch ich winkte schwach ab. "Das musst du den Kommissar fragen, aber Werner wird wohl kaum vernehmungsfähig sein", seufzte ich, während ich gegen eine langsam aus dem Magen aufsteigende Übelkeit ankämpfte, bis ich mich kurz darauf keuchend in die bereitgestellte Schüssel übergab und danach erschöpft im Bett zurücksank. "Gott, sie ist schneeweiß", hörte ich Marlene flüstern, bevor ich die Sinne verlor.

1 Stunde und 38 Minuten vor meinem Tod:
Ich war entgegen den Befürchtungen meiner Freunde wieder aufgewacht und sah den Comisario an meinem Bett sitzen. Er versuchte zu lächeln, als ich die Augen aufschlug, was gründlich misslang: "Señora, das Gift konnte analysiert werden, es handelt sich um künstlich hergestelltes Atropin, allerdings in einer völlig unbekannten Form. Und das bedeutet … äh … dass es kein Gegenmittel gibt, beziehungsweise könnte man dieses erst herstellen, wenn alle Bestandteile der giftigen Substanz analysiert sind. Das würde allerdings Tage dauern … ich … äh … fürchte, dass die Zeit nicht ausreichen wird, um Ihnen noch zu helfen. Ich kann nicht sagen, wie sehr ich das bedauere, Señora. Aber ich werde mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, die Person zu finden, die Ihnen das angetan hat." Der Mann, der plötzlich alt und grau aussah, drückte meine kraftlose Hand, erhob sich und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.

1 Stunde und 22 Minuten vor meinem Tod:
"Und das ist alles?", schrie Christoph. Betretenes Schweigen und eine fast grenzenlose Stille war die Antwort.

10 Minuten vor meinem Tod:
Ich telefonierte mit meinen Eltern, wollte noch einmal ihre Stimmen hören, doch sie schienen meinen Anruf für einen schlechten Scherz zu halten und ich wollte sie nicht weiter beunruhigen und verabschiedete mich gespielt fröhlich. Es ging mir mittlerweile sehr schlecht, ich musste mich immer wieder übergeben, während eine glasklare Flüssigkeit in meine Venen tropfte, die meine Schmerzen lindern sollte. Tatsächlich tat mir eigentlich nichts weh, nur mein Magen krampfte sich immer wieder zusammen, als würde jemand in meinem Körper sitzen, an der Innenseite brutal die Schleimhäute ablösen, zusammenraffen und in der Mitte des Leibes zu einem Knoten binden.
Niemand konnte sich vorstellen, wer mir das angetan haben könnte, wir rätselten gemeinsam, doch Lösung fanden wir keine.
Meine Freunde standen an meinem Bett, als ich die Augen schloss, um zu sterben.

6 Stunden und 17 Minuten nach meinem Tod:
Verwirrt schaute ich mich um - Sonnenstrahlen stachen durch die hellgrünen Vorhänge ins Zimmer, ein Piepsen drang an mein Ohr und es roch nach Essen. Ich drehte unter Schmerzen den Kopf ein paar Zentimeter zur Seite und sah eine Maschine neben meinem Bett stehen, auf der seltsame Linien über den Bildschirm flimmerten. Ich lebte also noch … oder?
Eilige Schritte auf dem Gang vor meiner Türe, Stimmengewirr, Lachen und das Klappern von Geschirr drangen an mein Ohr. Über mir hing ein Kabel mit einem kleinen Kästchen, auf dem sich ein roter Knopf befand, den ich nun drückte. Fast im selben Augenblick stürzte eine Schwester in den Raum und blickte mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf mich hinunter. Dann palaverte sie in Spanisch los, was ich mit einem mühsamen Schulterzucken quittierte. Irgendwie fühlte sich mein gesamter Körper an, als wäre er in ein Korsett gepresst, ich konnte mich kaum bewegen und mein Kopf schien jeden Moment zu platzen. Die junge Frau lief, immer noch aufgeregt vor sich hin plappernd, wieder nach draußen und einige Minuten später erschien "mein" Arzt, der mit roten Augen und dunklen Ringen darunter auf mich hinunter zwinkerte. "Gerade noch einmal gut gegangen", erklärte er mir betont munter, obwohl er aussah, als würde er jeden Moment vor Müdigkeit zusammenklappen. "Das war Rettung in letzter Sekunde!" "Was … ist … denn … passiert", stieß ich hervor, wobei mich das Artikulieren jedes einzelnen Wortes beinahe bis in die Zehenspitzen anstrengte. "Einer unserer jungen Pfleger konnte sich plötzlich daran erinnern, in einer Zeitung, die sein Vater abonniert hat, etwas über eine neue Droge gelesen zu haben, die vor allem auf den sogenannten "Partyinseln" im Umlauf ist und bei zu hoher Dosierung zum Tod führen kann. Er fand den Artikel zum Glück im Internet, denn um noch zu ihm nach Hause zu fahren, fehlte uns definitiv die Zeit, die uns ja davon lief, wie Sie wissen. Die Formel war weit weniger spektakulär und kompliziert, als wir vermutet hatten, und so konnten wir das Gegenmittel relativ rasch zusammenbrauen. Ich habe es Ihnen gerade noch rechtzeitig injiziert, auch wenn Sie davon nichts mehr mitbekamen. Stimmt´s?" "Stimmt", bejahte ich krächzend. "In ein paar Tagen sind Sie wieder auf den Beinen, es sind auch keine Folgeschäden zu erwarten. Und bis dahin dürfen Sie den Aufenthalt in unserem Hospital und unsere äußerst schmackhafte Diätkost genießen. Ihre Freunde sind im Hotel, die schlafen sich aus, und Ihre Eltern sind auf dem Weg nach Ibiza, sie werden vermutlich bald landen und kommen dann sofort hierher. Es ist alles organisiert." Der Arzt zwinkerte mir mit seinem linken roten Auge noch einmal zu und verschwand dann mit einem "Ich sehe in einer halben Stunde noch einmal nach Ihnen" aus dem Zimmer. Der schläft wohl nie, dachte ich noch, bevor ich selbst wieder eindöste.

Nachruf, der eigentlich keiner ist:
Mein Mörder konnte noch nicht ausfindig gemacht werden, der Comisario geht mittlerweile - nach intensiven Nachforschungen, wie er mir versicherte - davon aus, dass es sich bei dem Anschlag um ein Versehen gehandelt hat. Er meint, dass man mir eine neue Art von KO-Tropfen verabreichen und mich dann von der Gruppe trennen wollte, um mich zu bestehlen oder zu vergewaltigen, und dass es sich bei den Tätern, vermutlich, aber nicht nachweisbar, um Komplizen des Kellners oder des Kochs des Lokals, in dem wir gespeist hatten, handelte. Offensichtlich hat man die genaue Wirkung der Droge, die erst seit Kurzem auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist, nicht gekannt oder sie unterschätzt.
"Aber der Zettel, der beweist doch, dass mich das Gift umbringen sollte. Das können Sie doch nicht vergessen haben", argumentierte ich erst gestern dem Comisario ins Gesicht. "Welcher Zettel? Es existiert kein Zettel, es hat auch nie einen gegeben. Das müssen Sie sich einbilden. Auch ihre Freunde wissen nichts darüber. Bitte vergessen Sie so rasch Sie können, was Ihnen auf Ibiza zugestoßen ist, Señora, für uns ist das sehr peinlich. Sie müssen nach vorne blicken und sich freuen, dass sie wieder gesund sind. Bitte behalten Sie unser Land nicht in schlechter Erinnerung." Er küsste meine Hand und ließ mich dann alleine in dem kalten Raum des Kommissariats sitzen, sein Kollege brachte mich gleich darauf zurück ins Hotel, in dem meine Eltern schon auf mich warteten.
Heute fliege ich zurück nach Österreich. Doch ich werde wiederkommen und meinen Mörder ausfindig machen - auch wenn meine Mutter befürchtet, dass er sich inmitten meines Freundeskreises befindet und mein Leben nach wie vor in Gefahr ist!

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