Chuan ist ein quicklebendiger, schlauer, kleiner Junge. Er wohnt in China. So gerne wie bei uns die Jungens miteinander kämpfen und Indianer und Cowboy spielen, genau so gerne wetteifern die Knirpse in China ihren grossen Kampfmeistern nach. Auch Chuan macht hier keine Ausnahme. Für ihn gibt es nichts Schöneres als eine deftige Prügelei. Wenn Chuan irgendwo einen neuen Griff sieht, dann wendet er diesen spätestens am nächsten Tag bei seinen Kameraden an. Für sein Alter ist Chuan schon ein richtig guter Kämpfer. Aber das reicht ihm noch lange nicht. Kaum ist er von der Schule zu Hause und alle Schularbeiten sind gemacht, übt Chuan die alten und neuen Griffe. Wenn er auf der Wiese vor dem Haus übt, dann sieht dies schon ziemlich merkwürdig aus. Mit weit gespreizten Beinen steht er fest wie ein Felsen auf dem Boden und macht ein todernstes Gesicht dabei. Dann holt er tief Luft und mit einem Mal schlägt er wie wild mit den Fäusten durch die Luft. Wenn man Chuan dabei beobachtet, so könnte man meinen, er kämpfe mit einem unsichtbaren Feind. Manchmal übt er zwei, drei Stunden lang und bricht das Training erst ab, wenn er total erschöpft ist. Chuan trainiert wirklich hart. Er möchte nämlich eines Tages ein weltberühmter Kämpfer werden.
Eines Tages als Chuan gerade zur Schule geht, sieht er an einem Baum ein Plakat hängen. Das muss sich Chuan natürlich genauer anschauen. Auf dem Plakat ist ein Bild mit dem besten Kung-Fu Kämpfer des ganzen Landes. Unten am Bild steht mit grossen roten Buchstaben: " Xiau-Pung der grösste Kämpfer aller Zeiten kommt am Sonntag in unser Dorf. " Chuan kann es kaum glauben. Sein grösstes Vorbild kommt in sein Dorf?! Das darf sich Chuan um keinen Preis entgehen lassen.
Endlos ziehen sich die Tage dahin, bis es schließlich Sonntag wird. Schon in aller Frühe steht Chuan am Sonntagmorgen auf und rennt zum Dorfplatz. Er will sich dort den besten Platz sichern, damit er den grossen Kämpfer genau sehen und beobachten kann. Allmählich füllt sich der Platz mit Menschen, die die Vorstellung auch sehen möchten. Dann endlich ist es soweit. Ein schwarzes Auto fährt auf den Platz und der grosse Xiau-Pung steigt aus. Mit lautem Jubel und tosendem Applaus wird der Meister willkommen geheissen. Nur langsam beruhigen sich die Schaulustigen und es dauert eine ganze Weile bis es still auf dem Platz wird. Zwei Helfer schleppen Ziegelsteine und Holzklötze auf den Platz. Xiau-Pung beginnt mit seiner Vorstellung. Er schichtet fünf Ziegelsteine aufeinander, geht dann einen halben Meter zurück, konzentriert sich eine Weile und schlägt dann plötzlich mit der Faust auf die Ziegelsteine ein. Es kracht und splittert. Von den Ziegeln bleiben nur noch Trümmer übrig. Mit weit aufgerissenem Mund verfolgt Chuan die Darbietung. Xiau-Pung zeigt noch mehr von seinem Können. Immer mehr Ziegelsteine werden aufeinander geschichtet und jedesmal zerbricht sie der Meister mit einem einzigen Schlag. Dann demonstriert der Experte die waghalsigsten Sprünge mit einer solchen Leichtigkeit, dass man meinen könnte, er könne fliegen. Aber Xiau-Pung ist nicht nur ein Experte mit den Fäusten. Auch mit Waffen weiss er sehr gut umzugehen. Dem staunenden Publikum führt er die hohe Kunst des Schwertkampfes vor. Begeistert tobt die Menge beim Anblick dieser grossartigen Vorstellung. Überwältigt von der Kraft und Geschicklichkeit des Meisters, bemerken sie gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Nach einer Stunde ist das Spektakel vorbei. Der Meister versucht sich zurückzuziehen, was ihm allerdings nicht recht gelingen will. Jeder möchte vor dem Nachhauseweg noch ein Autogramm des Meisters ergattern. Auch Chuan versucht an den Meister heran zu kommen. Geschickt drängelt er sich bis zu seinem Idol vor. Aber als er dann vor dem grossen Xiau-Pung steht, wird es dem kleinen Chuan schon etwas mulmig. Er rafft seinen ganzen Mut zusammen, macht eine tiefe Verbeugung und spricht Xiau-Pung an: " Grosser Meister, ich möchte auch so ein berühm-ter Kämpfer werden wie du! Zeigst du mir, wie das geht? - Bitte! " Lange sieht der Meister den jungen Kämpfer nachdenklich an und sagt dann mit tiefer Stimme und runzeliger Stirn: " So, so ein Kämpfer willst du werden? " " Ganz genau, ein Meister wie du möchte ich werden! " Sprudelt es aus Chuan heraus. Xiau-Pung zupft seinen langen, dünnen Bart und entgegnet weise: " Wenn du ein Meister werden willst, dann musst du zuerst lernen wie man einen Menschen gesund macht. Es ist nämlich keine Kunst einen Menschen zu verletzen!" " Häääää? " Entfährt es dem kleinen Chuan, weil er nur noch Bahnhof versteht. Ein Kämpfer muss doch kämpfen und nicht heilen! Geht es ihm durch den Kopf. Aber der schlaue Xiau-Pung errät die Gedanken Chuan's und erklärt ihm:
" Schau, früher habe ich für Geld mit Menschen gekämpft und sie dabei verletzt. Aber heute mag ich dies nicht mehr tun. Ich habe nämlich eingesehen, dass es nicht gut ist den Menschen Schaden zu zufügen. Deshalb habe ich begonnen meine Kunst für die Armen einzusetzen. " " Für die Armen? " Fragt der kleine Chuan ganz enttäuscht. " Ja genau! " Bestätigt Xiau-Pung. " Früher verdiente ich sehr viel Geld mit meinen Kämpfen. Doch je mehr Geld ich hatte, um so unzufriedener wurde ich. Als ich dann, auf Rat eines alten Mannes, begann mein Leben zu ändern, da kehrte wieder Friede in meinem Herzen ein. " Verblüfft und etwas betrübt schaut Chuan den Meister an und fragt: " Sie haben Ihr Leben geändert? Sind Sie denn kein Kämpfer mehr? " Mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht antwortet Xiau-Pung: " Doch, doch ein Kämpfer bin ich geblieben! Aber ich füge den Menschen nun keinen Schaden mehr zu. Ich schlage niemanden mehr blutig, sondern ich demonstriere meine Kraft und Geschicklichkeit in solchen Darbietungen, wie du sie eben sehen konntest. Und einen Teil meiner Einnahmen gebe ich an die Armen weiter. Es ist nämlich viel wertvoller andere zu beschenken, als alles für sich selbst haben zu wollen. " Freundschaftlich drückt der Meister Chuan's Hand und verabschiedet sich vom jungen Kämpfer.
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