Kristof patscht durch eine Pfütze. Pitsch! Patsch! Schon vermischt sich das klare Wasser mit Sand und Erde, wird zur braunen Brühe.
Interessiert hüpft Kristof darin herum. Zwischen den nackten Zehen quillt Morast hervor. Das Gefühl ist prima. Der Dreck formt sich zu Wülsten, verformt sich, bildet Rinnsale an den Füßen. Kristof schüttelt seine Beine. Platsch! Dicke Schlammkrusten fallen von ihm ab. Nein, so ein Gatsch! So viel Quatsch!" Lustig ist das. Und - verboten.
Jawohl, Mama hat's verboten. Weil im schmutzigen Wasser gibt es nämlich böse Tiere: Bazillen.
Der kleine Bub hat keine Ahnung, was das ist, Bazillen. Mama hat gesagt, man kann sie gar nicht sehen, so klein sind sie. Aber sie machen Kopfweh und Bauchweh. Und Fieber. Und Krätze.
Kristof betrachtet seine Hände.
"Whä", sagt er.
Er ist sicher, daß jetzt viele Bazillen auf seinen Fingern sitzen: Kopfweh-Bazillen, Bauchweh-Bazillen, Fieber-Bazillen und - leider – auch Krätze-Bazillen: Da, am Handrücken, wo er sich ein wenig aufgeschürft hat. Vorsichtshalber haut Kristof sich fest auf die Hand:
"Na wartet, ihr Bazillen – jetzt hab ich's Euch aber gegeben!"
Er beschließt, die getöteten Ungeheuer im Wasser abzuwaschen. Das ist natürlich sehr lustig, denn dabei muß er unbedingt kräftig in den Morast gatschen und Quatschen.
Kristof patscht mit seinen Handflächen kräftig auf einen großen runden Stein neben der Pfütze.
"Na wartet, ihr blöden Bazillen! Euch geb' ichs! Und die nicht tot sind, die laß ich jetzt ertrinken!" Schon tasten sich Kristofs Finger durch den trüben Schlamm, graben eine Kuhle. Er greift in die Pfütze, schaufelt Wasser herbei. Plitsch, Platsch! Die Kuhle geht schon über. Kristof beschließt, einen kleinen Damm drumherum zu bauen. Immerwieder füllt er seine Hände mit nassem Lehm, formt einen Wall um die Todespfütze. So heißt sie nämlich, die Bazillenfalle.
Ein neuerlicher Griff in den aufgeweichten Lehm - da! Etwas Weiches, Glitschiges wabert unter Kristofs Handballen. Eklig!
Eine Bazille! Oh nein, das ist was anderes. Etwas Großes.
Kristof erstarrt: Der Rächer aller von ihm ermordeten Bazillen! Er wird ihn anspringen, beißen und ihm alle Krankheiten bescheren, die jemals von Bazillen erfunden wurden.
"Bloß nicht aufregen", überlegt Kristof laut:
"Ich bin ein großer Junge. Jedenfalls größer als dieses Vieh. Ich bin sogar viel größer."
Rasch hüpft er aus der Pfütze, fühlt sich dann auch in Sicherheit.
Doch der Rächer aller Bazillen denkt nicht ans Aufgeben. Er schlängelt sich an den Pfützenrand, windet sich aus dem Wasser!
Es ist - eine Schlange!
Eine Wasserschlange? Nein, eine Pfützenschlange!
Kristof brüllt. Er brüllt und schreit so laut, daß einige Leute zusammenlaufen. Mittendrin sein großer Bruder, der ihn mitgenommen hat in den Park.
"Spinnst du?", fragt er den Kleinen. "Seit wann schreist du wegen einem Regenwurm?"
"Ein Regenwurm? Das ist nur..? Na klar!"
Vor Erleichterung kriegt Kristof eine Stinkwut. Er schnappt das Mistvieh und schleudert es in hohem Bogen in die Wiese.
"So". Zufrieden reibt sich der Kleine die Hände:
"Jetzt fängt der Wurm eine Menge Grasbazillen auf", erklärt er.
"Morgen hat er sicher Masern, der blöde Regenwurm. Und übermorgen kriegt er dann Scharlach mit Schnupfen."
Der große Bruder schüttelt verwundert den Kopf.
"So was Kindisches", ätzt er. Zu den Umstehenden sagt er:
"Kristof benimmt sich manchesmal wie ein Baby." Dann gesellt sich er sich wieder zu den Freunden, die gerade ein neues Gameboy-Spiel ausprobieren. Auch die Erwachsenen gehen wieder ihres Weges.
"Scharlach mit Schnupfen!", hört er jemanden sagen. "Natürlich, er ist ja noch sehr klein!"
"Ph!" Kristof ist empört. Immerhin ist er schon mehr als fünf! Und dem Jemand wünscht er auch gleich beides – und die Krätze dazu.
Der Wurm scheint zu wissen, daß Kristof jetzt alleine ist. Er turnt übers Gras, bewegt sich auf ihn zu. Ziemlich rasch. Nein – Sehr rasch! Er fliegt!
Kristof schaut mit großen Augen. Hat sein Bruder recht, spinnt er?
Nein. Der Wurm tanzt wirklich über die Wiese. In Spiralen bewegt er sich ober dem halblangen Gras, macht sogar einige Hopser.
Kristof wirft sich zu Boden. Er landet hinter einem großen Maulwurfhaufen. Aus der Deckung beobachtet er vorsichtig, ob das komische Vieh ihn jetzt noch sehen kann. Leider ja. Denn immer näher kommt der Regenwurm.
"Am Ende ist das gar kein Wurm, sondern doch eine Schlange?" Kristof klappert mit den Zähnen, hat eine Gänsehaut vor Angst.
"Nein, es ist ganz bestimmt keine Schlange", beruhigt er sich. "Der große Bruder weiß so etwas ganz genau. Aber – vielleicht ist es etwas anderes. Zum Beispiel – ein Zauberwurm?"
Angst ist etwa Schlimmes! Gleich wird das Untier aus dem Gras wuseln, Kristof gierig anspringen, ihn beißen, vergiften, verzaubern! Womöglich sogar töten. Ganz klein macht sich der Bub, rollt sich zusammen, versucht, den Kopf mit beiden Händen zu schützen.
Dann: Ein Huscher in der Luft – es ist soweit!
Doch was Kristof anspringt, ist kein Untier.
Es ist Oskar!
Der Regenwurm ist vorhin mitten auf seinem Rücken gelandet. Oskar hat vergeblich versucht, den unangenehmen Gast abzubeuteln. Umsonst ist er durchs hohe Gras geschlüpft, um den klebrigen Reiter loszuwerden. In seiner Verzweiflung ist er jetzt Kristof in die Arme gesprungen. Ach ja, Oskar ist ein kleiner schwarzer Kater. Das Tier weiß, Kristof wird ihm helfen. Immerhin sind sie Freunde.
Erleichtert grinsend klaubt Kristof den Regenwurm aus Oskars seidigem Langhaar. Dann setzt er das Ringeltier zurück in den feuchten Morast,. Etwas entfernt von der Pfütze.
"Ich weiß", sagt er: "Regenwürmer können ertrinken. Und dir habe ich heute schon genug angetan!"
Aber auch Kristof hat für diesen Tag genug von Regen-Pfützen.
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