Die Türkische Frau in der Produktion, in leitenden Positionen und in der Kunst von Emel Dogramaci
Die Rechte der Frau als Menschenrechte sind nach langem, hartem Kampf heute weltweit anerkannt. Dieser
Kampf hat in jedem Land naturgemäß andere Dimensionen.
Sabiha Gökcen, Die erste Pilotin in 1937
Die türkische Frau ist in einer vergleichsweise glücklichen Lage. Denn der Staatsgründer
Atatürk persönlich schätzte die Bedeutung der türkischen Frau für die Gesellschaft hoch
und wollte ihr zu den Rechten verhelfen, die ihr von ihrem Frausein her zustehen. Atatürk
hat aufgrund des ihm eigenen Frauenbildes der türkischen Frau ihren Platz zugewiesen.
Atatürk verwirklichte eine Reihe von Reformen, durch die er eine moderne,
demokratische und laizistische Gesellschaft anstelle der Osmanischen theokratischen
Ordnung schaffen wollte. Im Erziehungsbereich gehört dazu die Schulpflicht für Jungen
und Mädchen, die in gemischten Klassen unterrichtet werden.
Die türkische Frau besitzt heute praktisch alle ökonomischen, politischen und sozialen Rechte, und zwar
aufgrund von Gesetzen. Man muß sich aber fragen, ob die 49,33% Frauen (Anteil an der Bevölkerung nach der
Zählung von 1990) von ihren Rechten auch Gebrauch machen. Dabei ergeben sich zwischen den Frauen auf
dem Lande und in der Stadt gewisse Unterschiede. Die Stadtfrau hat weitgehend die ökonomische
Abhängigkeit erreicht. Dasselbe kann man von der Landfrau schwerlich sagen. Sie ist in dieser Hinsicht stärker
vom Mann abhängig.
Soziologische Untersuchungen, die in den Städten angestellt wurden, beschäftigen sich mit den wichtigen
Fragen, die sich aus der Rolle der Türkischen Frau in der heutigen Gesellschaft ergeben.
Die meisten Stadtfrauen, und da besonders die jüngere Generation, sehen sich als mit dem Mann auf gleicher
Stufe stehend.
Die Türkische Frau in der Produktion
In Artikel 49 der Verfassung des Jahres 1982 wird jedem Staatsbürger, und zwar ohne Unterschied des
Geschlechts, das Recht auf Arbeit zugeschrieben. Heute stehen der türkischen Frau alle Sektoren des
Arbeitsmarktes offen.
Daß die türkische Frau außerhalb des Hauses am Aufbau der Gesellschaft teilnimmt, ist ein Ergebnis der
Reformen Atatürks. Aufgrund der Chancengleichheit in der Erziehung haben sich die Frauen erfolgreich in den
verschiedensten Berufen beweisen können.
Die türkische Frau hat am sozialen Leben anfangs vor allem als Lehrerin teilgenommen. Dem folgten andere
Berufe. Heute tritt die Türkin als Wählerin und Steuerzahlerin in Erscheinung, als Benutzerin von
Verkehrsmitteln und als Elternteil eines Schulkindes, vor Gericht als Klägerin, Beklagte und Zeugin, als
Verbraucherin aller Arten von Dienstleistungen und aktiv in den verschiedensten gesellschaftlichen
Vereinigungen.
Nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung sind 44,95% aller Frauen über 12 Jahre erwerbstätig, d.h., etwa
die Hälfte der Frauen der Türkei ist an der Produktionskraft des Landes beteiligt. Zwar ist dieser Prozentsatz
noch zu gering, doch wird mit der Erhöhung des Ausbildungsniveaus der Anteil der Frauen im Berufsleben
zunehmen. Andererseits sind unter den nicht berufstätigen Frauen diverse Hausfrauen, die, obwohl sie eine
Ausbildung haben, aus verschiedenen Gründen ihren Beruf nicht ausüben.
Tatsache ist auch, daß mit der sozio-ökonomischen Entwicklung sich die Berufe der Frauen breiter fächern.
Die Gliederung nach Berufsgruppen sieht für die heute türkische Frau so aus:
- Wissenschaftlerinnen und Technikerinnen
- Freischaffende und Selbständige
- Leitendes Verwaltungspersonal
- Handels- und Verkaufspersonal
- Unternehmerinnen
- Direktoren-, hohe Beamten- und Diplomatenposten
- Produktion außerhalb der Landwirtschaft
- Landwirtschaft, Viehhaltung und Forstwirtschaft
Die an der Produktion teilnehmenden Frauen arbeiten zu einem großen Prozentsatz in der Land- und
Forstwirtschaft und in der Viehhaltung. Aber mit fortschreitender Industrialisierung der Türkei wächst auch der
Anteil der Frauen, die außerhalb der Landwirtschaft beschäftigt sind.
Die Stadtfrauen, die ein höheres Ausbildungsniveau als die Landfrauen haben, beteiligen sich im Laufe der Zeit
in immer größerem Maße an der Produktion. Als ein Beispiel sei hier angeführt, daß 1970 2,6% der Frauen als
Wissenschaftlerinnen und Technikerinnen arbeiteten, 1985 aber 4,9%. Und als leitendes Verwaltungspersonal
waren es 1970 1,42%, 1985 jedoch schon 3,28%.
Da die Frauen auf dem Lande meistens nur eine Grundschule bzw. Mittelschule besucht haben und in den
seltensten Fällen einen Beruf erlernen, kann man diese Frauen am besten fördern, indem man bei ihren
Aufgaben in der Landwirtschaft und zu Hause und bei der Erstellung von Kunsthandwerk ansetzt. Ein schönes
Beispiel dafür ist, daß seit 1986 bei den 35.061 Volksbildungskursen 80,78% der Teilnehmer Frauen waren.
Die seit 1950 in der Türkei anhaltende Binnenwanderung hatte, ebenso wie die etwas später einsetzende
Arbeitsemigration, Auswirkungen auf das Berufsleben der Frauen. Bei den Migrantinnen beobachtet man eine
Erhöhung des Ausbildungsniveaus und damit verbundenen den Wunsch, durch Berufstätigkeit zum
Familieneinkommen beizutragen.
Seit 1960 gingen auf dem offiziellen Weg etwa 2 Mio. Arbeitskräfte ins Ausland. Derjenige Teil der Arbeiter, der
mit Frau und Kind seit 1980 in die Türkei zurückgekehrt ist, erweist sich (nach der Absolvierung von
Anpassungskursen) durch die im Ausland erworbenen Fähigkeiten, Sprachkenntnisse und die
Lebensauffassung, besonders im Tourismus- und Dienstleistungssektor, als nützlich.
Die türkische Frau in leitenden Positionen
Im allgemeinen hat die berufstätige Städterin eine angesehene Arbeit,
meistens beim Staat, was, im Vergleich zu einem Job in der
Privatwirtschaft, den Vorteil der durch Gesetz geregelten Arbeitszeit hat,
so daß die Frau für den Haushalt mehr Zeit erübrigen kann.
Im Hochschulbereich stellen heute die Frauen 32,15% des Lehrkörpers.
Außerdem liegt der Anteil der Frauen an den Dienstleistungspositionen
der Universitäten, wie z.B. Institutsleitung, Dekanat und Rektorat bei 20%.
Diese Frauen treten auch bei internationalen
Wissenschaftsveranstaltungen als Rednerinnen und Tagungsvorsitzende
in Erscheinung. Außerdem vertreten türkische Frauen ihr Land erfolgreich
bei den Vereinten Nationen, im Europarat und ähnlichen Organisationen.
Auch in den Führungspositionen staatlicher Stellen stehen türkische
Frauen ganz vorne. Zum Beispiel seien Melahat Ruacan, Semahat Tüzün
und Nezahat Güreli genannt, die als Mitglieder ans Revisionsgericht
gewählt wurden, sozusagen als Vorhut. Firdevs Mentese, die 1969 als
Vorsitzende des Obersten Verwaltungsgerichts eingesetzt wurde, war
eine der ersten Juristinnen der Welt, die eine solche Stelle in der hohen
Verwaltungsgerichtsbarkeit bekleidete.
Bis in die 70er Jahre waren die genannten Frauen Beispiele für
erfolgreiche weibliche Pflichterfüllung. Heute hingegen findet man in allen
Führungspositionen einen hohen Frauenanteil.
Lale Aytaman, Die erste Frauengouverneur, 1991
Am politischen Leben hat die türkische Frau seit der Gründung der
Republik teilgenommen. Im Jahre 1934 bekam sie die politischen Rechte,
und nach den Wahlen von 1935 zogen 18 Frauen als Parlamentsmitglieder
in die Nationalversammlung ein. Bis heute haben etwa 100 Frauen im
Parlament ihre Pflicht getan, und zwei waren sogar Ministerinnen. In den
letzten Jahren hat die Frauenbewegung in der Türkei an Intensität
gewonnen. In den Parteien haben Frauen neben ihren Kollegen auch das
Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden ausgeübt. Eine Partei hat
sogar eine Frauenquote von 25% beschlossen, um die Zahl der
weiblichen Abgeordneten zu erhöhen.
Die Türkische Frau in der Kunst
Wie auf allen Gebieten, so hat sich die türkische Frau auch auf dem Feld der Kunst hervorgetan. Die Kunst wird
definiert als das, was der kreative Mensch erreicht, wenn er, um Gefühl und Schönheit auszudrücken,
verschiedene Methoden anwendet. Im Bereich der Kunst und des Kunsthandwerks hat die türkische Frau in
jeder Hinsicht die Kultur des Landes bereichert.
An 20 Universitäten (von insgesamt 29) wurden im Studienjahr 1989/1990 in den verschiedensten
Kunstrichtungen Ausbildungsmöglichkeiten angeboten, wobei 53,75% der Studierenden weiblich waren.
Als Studiengänge kamen in Frage: Malerei, Bildhauerei, Graphik, Schauspiel und Film, Musik, traditionelles
türkisches Handwerk und angewandte Künste. Insgesamt gibt es in der Türkei für weibliche und männliche
Studenten gleichermaßen folgende Ausbildungsstätten im künstlerischen Bereich: 3 staatliche
Konservatorien, 5 Fakultäten, 15 Abteilungen der Schönen Künste, 2 Ausbildungsabteilungen für weibliches
Handwerk, 1 Abteilung für gemischte künstlerische Ausbildung, 1 Abteilung für Musik.
In der künstlerischen Ausbildung an den Hochschulen sind 41,41% der Lehrkräfte weiblich.
Um die künstlerische Ausbildung zu verbessern, sind bis zum
heutigen Tage diverse Gesetze erlassen worden. Etwa im Jahre 1948
das Gesetz Nr. 5245, das für die beiden Wunderkinder Idil Biret und
Suna Kan die Voraussetzung zu einer Ausbildung im Ausland schuf.
Später im Jahre 1956 räumte das Gesetz Nr. 6660 begabten Studenten
aller Kunstrichtungen die Chance ein, im Ausland weiter zu studieren.
Auf diese Weise wurden z.B. viele Musikerinnen wie etwa Idil Birit,
Gülsin Onay, Ayla Erduran, Suna Kan, Suna Korat, Ferhat Onat, Leyla
Gencer, Yildiz Tombul, Süher und Güher Pekinel und die Geschwister
Bahar und Ufuk Dördüncü auch im Ausland zu erfolgreichen
Botschafterinnen der Kunst.
Suna Kan, Violinist
In den ersten Jahren der Republik gab es auch so berühmte
Theaterschauspielerinnen wie Afife Jale, Neyyire Neyyip, Bedia
Muvahhit, Halide Piskin und Cahide Sonku. Heute muß man im Bereich
Theater Yildiz Kenter, Ayten Gökçer, Gülsen Alniaqik und als Ballerinen
und Choreographinnen Duygu Aykal und Meriç Sümen erwähnen, die
sich künstlerisch in der Heimat und im Ausland bewiesen haben.
Yildiz Kenter, Theaterschauspielerin
Außerdem sind die Bildhauerinnen Lezzan Bengisu, Neriman Faruhi, Füsun Onat, die Malerinnen Hale Asaf,
Sühendan Firat, Timur Alagök, die Dekorateurinnen Filiz Balkir, Bedia Bektas, die Keramikerinnen Jale
Yilmabasar, Füreyya Kanal, Müfide Çalik, Alev Ebuzziya, Hamiye Çolakoglu, die Graphikerinnen wie etwa
Mürside Içmeli als Frauen zu nennen, die der türkischen Kunst mit Erfolg gedient haben und dienen.
Daneben hat auch der Türkische Film erfolgreiche Schauspielerinnen aufzuweisen, die ebenfalls nicht bloß im
Inland, sondern auch im Ausland bekannt wurden, z.B. Hülya Koçyigit und Fatma Girik.
Wie man sieht, gibt es in allen Kunstrichtungen eine Reihe türkischer Frauen, die wesentliche Beiträge leisten.
Nicht zu vergessen die Frauen, die, vor allem in ländlichen Gebieten, im Kunsthandwerk verschiedener Art, wie
Häkeln, Stricken, Zuschneiden und Nähen, Teppichknüpfen und dergl., die Anstrengung ihrer Hände und das
Licht ihrer Augen opfern und in dieser Weise schöpferisch tätig sind.
Man kann sagen, daß die türkische Frau, ganz anders als es dem im Westen verbreiteten Bild entspricht - durch
Gesetze und internationale Abkommen geschützt - in einem modernen Umfeld auf jedem Gebiet akzeptiert wird.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus der Homepage von Aysen Doymaz (alles rund um die Türkei) http://www.aysen.net/.
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