Ein Hauch von Gefühl
weiblich, behindert, sinnlich
Nachlese zur Ausstellung - Katalogbestellmöglichkeit weiter unten
In einer Gesellschaft zu leben die Maßstäbe von Weiblichkeit, Attraktivität, Sinnlichkeit und Erotik so setzt, dass fast keine, oder sehr, sehr wenige Frauen sie erreichen können, schließt Frauen mit Behinderung zur Gänze aus. Sie kommen nicht einmal in die engere Wahl dazuzugehören.
Geboren mit einer schweren körperlichen Behinderung (spinale Muskelatrophie), lebe ich seit 40 Jahren mit diesem „weiblichen Nichtvorhanden sein“ und habe seit frühester Kindheit erfahren, was es bedeutet und vor allem wie es sich anfühlt, als sichtbar „behinderte Frau“ gesehen bzw. nichtgesehen und unbeachtet zu bleiben. Es ist ganz einfach: Frau mit Behinderung wird als solche in ihrer weiblichen Rollenidentität nicht wahrgenommen, geschweige denn bestätigt oder gefördert. Eltern, Betreuer, Lehrer, fast alle (leider nur sehr wenige Ausnahmen bestätigen die Regel) versuchen so lange es nur irgendwie geht, die Kindheitssituation aufrechtzuerhalten und glauben damit den beginnenden Fragen von Liebesfähigkeit, Sexualität und Partnerschaft, die Antworten suchen, aus dem Weg gehen zu können. Meine Sozialisation als Frau gab es somit nicht und ich musste mich ganz alleine auf den schweren Weg machen mein Frausein, mit meinen Möglichkeiten, für mich zu suchen und finden. Es war ein oft schmerzlicher Weg mit vielen enttäuschenden Erfahrungen, vielen Verliebtheiten und immer wieder männlicher Ablehnung. Ablehnung und somit auch Abwertung, letztlich Diskriminierung, weil ich mit dem notwendigen Elektro-Rollstuhl, als eindeutig sichtbares Merkmal, eine bedürftige und behinderte Frau, die bewegungsunfähig und abhängig ist, die „Krankheit“ sichtbar macht, verkörpere und darstelle. Das macht Männern Angst und befremdet und Gedanken an Weiblichkeit und Sinnlichkeit sind weit entfernt.

Trotzdem sind meine Neugier und mein Wunsch nach Erfüllung meiner Sehnsüchte und Träume stärker. Ich habe es immer und immer wieder versucht und bis zum heutigen Tag nicht aufgegeben, daran zu glauben, dass dies möglich sein kann. Wenige Männer, die mutig genug waren, sich über ihre eigenen Grenzen zu wagen und Neues zuzulassen, konnten mir dies positiv bestätigen und ließen mich hoffen, dass es sich lohnt dafür zu kämpfen.
Dennoch gab es unzählige Erlebnisse die mehr als deutlich das Gegenteil bewiesen. In vielen Gesprächen mit Frauen mit Behinderungen erfuhr und erlebte ich, dass es allen, egal wie schwer oder leicht die sichtbare Behinderung ist, auf ähnliche Weise ergangen ist und immer noch geht. Viel Schmerz, Trauer und Wut wird dabei sichtbar. Frau mit Behinderung erfährt somit doppelte Diskriminierung als behinderter Mensch und zusätzlich als Frau mit Behinderung. Das war und ist der Grund für diese Fotoausstellung.
Wir, ich Andrea Mielke, als Initiatorin, der Fotograf Andreas Hauch, als künstlerischer Umsetzer und sechs weitere Frauen mit Behinderung, die Mut und Bereitschaft zeigten daran mitzuarbeiten, und die letztlich diese Fotoausstellung erst möglich machten, wollen damit endlich brechen und dies auf unkonventionelle Weise umsetzen.
Sieben Frauen brechen ein Tabu: sie machen sichtbar, dass Frau mit Behinderung nicht dem Fluch einer unattraktiven, hilflosen, kranken, und bedürftigen Person erlegen ist, die durch unsere Gesellschaft und deren erotisch-weiblichen Ideale zum Neutrum und damit zur Nichtexistenz gezwungen wird.
Die Fotoausstellung von Frauen mit Behinderung soll zeigen, aufmerksam machen und ein Gefühl dafür aufspüren, dass Sinnlichkeit ein weites Feld der persönlichen Wahrnehmung ist und darin jeder Mensch seine „eigenen Bilder“ im Kopf trägt, die, wenn sie mit Behinderung, Bewegungslosigkeit, Abhängigkeit, Körperlichkeit und Andersartigkeit gepaart sind, scheinbar nicht zu unserem Bild von Sinnlichkeit, Erotik, Lust, Leidenschaft und Sexualität passen, sondern befremden, Angst machen und Ablehnung erzeugen.
Damit wollen wir brechen und durch „sinnliche Bilder“ von Frauen mit Behinderung Veränderung in Sichtweisen und Denkmuster bewirken.
Da behinderte Frauen durch ihr Behindertsein und Frausein doppelte Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren, geben wir im besonderen der „Frau mit Behinderung“ den Vorzug, um Vorurteile, Wertigkeiten und Maßstäbe einer perfekten und schönen Frau, die scheinbar niemals eine Frau mit Behinderung sein kann, neu zu setzen.
Die Ausstellung soll unsere Sinne aufwecken, entdecken und verwöhnen.
Andrea Mielke
Andrea Mielke, 1964 in Salzburg geboren, diplomierte Sozialarbeiterin und Aktivistin in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Benutzt einen Elektro-Rollstuhl und lebt rund-um-die-Uhr mit persönlicher Assistenz.
Mehr Infos:
Der Katalog zur bereits abgelaufenen Ausstellung umfasst 48 Seiten im Format 29,7 x 22 cm quer und ist zum Einzelpreis von 17 Euro erhältlich - ab 3 Stück 15 Euro/Stk. Zu diesem Preis kommen noch 3 Euro Versandkosten; außerhalb von Österreich 5 Euro.
Verantwortlich für den Katalog: Andrea Mielke, E-Mail: andrea.mielke@aon.at, 0699/17711701
Fotos: Andreas Hauch
Noch ein Text zum Thema: "Sieben Frauen" ... Deine Meinung dazu
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